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Einhandflöte und Trommel

 

Einhandflöte und Trommel [Bild 1]

 

Bezeichnung:

mhd. holre, holler, Schwegel,
provenz. galoubet, altfrz. flaihutel, flageol,
neufrz. flötet,
baskisch chirula, txistu

 

Bau und Funktion:

Die Einhandflöte ist eine Schnabelflöte mit enger zylindrischer Bohrung sowie zwei vorder- und einem hinterständigen Griffloch. Der Spieler hält das Instrument zwischen Ringfinger und kleinem Finger der linken Hand und deckt mit Zeige- und Mittelfinger die beiden vorderen, mit dem Daumen das hintere Griffloch.

 

Hans Burgkmair (1473 - 1531): Kayser Maximilians I. Triumph, 1516, Blatt 24: Musica süeß Melodey mit Viola da Gamba, Harfe, Viola da Braccio, Lauten, Windkapselschalmeien ("Rauschpfeifen") Einhandflöte und Trommel

Einhandflöte und Trommel [Bild 2]

 

Vom Mittelalter an war die Kombination von Einhandflöte mit einem Schlaginstrument - Handtrommel, Saitentambourin oder Triangel - üblich, am beliebtesten war die Verbindung mit der Einhandtrommel. Dabei wurde die Trommel am linken Arm oder an der Schulter, an der Taille, zuweilen auch am kleinen Finger der linken Hand befestigt. Einhandflöte und Trommel [Bild 3]Mit der rechten Hand wurde mit Hilfe eines Schlegels die Trommel geschlagen, während die Flöte mit der linken Hand gespielt wurde. Der Spieler muß drei voneinander getrennte Techniken beherrschen: die Schlagtechnik mit dem Schlegel, die Grifftechnik der Holzblasinstrumente und die vor allem den Blechblasinstrumenten eigentümliche Überblastechnik. (Munrow)

 

Der „Einhandflöten-Trommel-Spieler“ war demnach eine „Ein-Mann-Kapelle“, bestens geeignet für das Aufspielen zum Tanz. Dabei markiert die Trommel den Grundrhythmus, während die Flöte die Melodie übernimmt. Der Spielmann konnte in der Kombination von Blasen (Melodie) und Schlagen (Rhythmus für den Tanz) sein praktisch-musikalisches Können unter Beweis stellen und sein ansonsten eher negatives Ansehen - im Gegensatz zu den mit theoretischen Kenntnissen vertrauten ständischen Musikern - verbessern.

 

Einhandflöte und Trommel [Bild 4]

 

Wegen der engen zylindrischen Bohrung erklingt beim Anblasen nicht der (schwer ansprechbare) Grundton, sondern der 1. oder 2. Oberton. Durch stärkeren Anblasdruck erreicht der Spieler die nachfolgenden Obertöne (bis zum 6.), so dass mit der Deckung bzw. Öffnung der Grifflöcher nur die Abstände zwischen den Obertönen auszufüllen sind. Zusätzliche Töne lassen sich durch Halbdeckung der Grifflöcher oder auch des Mündungsloches mit dem kleinen Finger erzielen. Der Klang des Instruments ist schrill und scharf.

 

Geschichte:

Fries mit Moriskentänzen zwischen Akanthusranken Tanz um den Preis, Kupferstich von Israhel van Meckenem, Deutschland, um 1490

Einhandflöte und Trommel [Bild 5]Einhandflöten sind in Europa seit dem Mittelalter bekannt. Im 15. Jh. werden sie in Diskant- und Tenorlage, im 16. Jh. auch in Basslage mit s-förmigem Anblasrohr gebaut (vgl. Titelblatt). Das Ambraser Inventar verzeichnet 1596 Flauti, mit clainen drümblen zu gebrauchen, 6 stuckh, ain pasz, 3 tenor und 2 discant. Auch Michael Praetorius zählt in seinem Syntagma Musicum II 1619 diese drei Größen auf, bezeichnet die Einhandflöten 1619 als Stamentien Pfeifflin. Später kannte man auch kleinere, über dem Diskant liegende, Instrumente. Ansonsten ist bereits für Virdung, dann auch für Agricola und Praetorius die Einhandflöte im 16./17. Jh. eher ein ausländisches Instrument.

 

Aus vielen Länder Europas ist bis in unsere Zeit die Kombination von Einhandflöte und Trommel oder einem anderen Schlaginstrument (Tambourin du Béarn, Triangel) bekannt: galoubet et tambourin in Frankreich, pipe and tabor in England oder fluviol oder flabioly tamboril in Spanien.

 

Meister des Bartholomäusaltare: Die Verlobung der Heiligen Agnes, Detail mit Engel, der Einhandflöte und Trommel spielt, Köln, Ende 15. Jh.

Einhandflöte und Trommel [Bild 6]

 

Aus England sind für das Ende des 16. Jh. sogar zwei Spieler namentlich bekannt: William Kemp und Richard Tarleton, zwei der berühmtesten Komödianten der Zeit. 1599 tanzte Kemp einen Morristanz den ganzen Weg von London nach Norwich und wurde dabei offensichtlich von Einhandflöte und Handtrommel begleitet. (Munrow) Literarische Quellen erwähnen die Einhandflöte in Zusammenhang mit bäuerlichen Belustigungen und Maibaumbräuchen. Dafür ist der Anfang einer Ayre von Thomas Weelkes ein charakteristisches Beispiel:Einhandflöte und Trommel [Bild 7]

Holzschnitt auf der Titelseite von William Kemps Nine Daies Wonder (1600). Man beachte die große Flöte und die Art, wie die Trommel an einem Riemen vom linken Arm herabhängt.

 

Strike it up, Tabor,
And pipe us a favour
(Schlag an, Trommler,
und pfeif uns ein schönes Stück)

 

Gerade in England ist die Tradition von pipe an tabor bis heute ungebrochen. Im Baskenland, in Katalonien und in der Provence wird heute das Galoubet vor allem bei Tänzen verwendet, die im Freien musiziert und getanzt werden wie Farandole und Sardana.

 

Einhandflöte und Trommel [Bild 8]

Galliarde im Freien, Radierung von Hans Asper, 1. Hälfte 16. Jh.

 

Literatur:

John Henry van der Meer: Musikinstrumente. Von der Antike bis zur Gegenwart, München 1983, S. 81ff.
David Munrow: Musikinstrumente des Mittelalters und der Renaissance, Celle, 1980, S. 72ff.
Musikinstrumente der Welt. Eine Enzyklopädie mit über 4000 Illustrationen, Gütersloh 1981.
Curt Sachs: Real-Lexikon der Musikinstrumente zugleich ein Polyglossar für das gesamte Instrumentengebiet, 3. unveränderter Nachdruck der Ausgabe Berlin 1913, Hildesheim 1979.
div. Lexika: Grove, Honnegger/Massenkeil, MGG 1 + 2, Riemann, Ruf.
Die Abbildung auf der Titelseite ist aus: Michael Praetorius: Syntagma Musicum II, 1619.