Entstehung Auferstehungshistorie SWV 50

Die Zeit der 1620er Jahre war für Heinrich Schütz geprägt von einer ungeheuren Produktivität, die einerseits aus der Notwendigkeit des Schaffenmüssens und dem gleichzeitigen Bedürfnis Schaffen zu wollen erwuchs; innerhalb weniger Jahre, also nach den Psalmen Davids von 1619, entstanden neben der Historia der fröhlichen und siegreichen Auferstehung unsers einigen Erlösers und Seligmachers Jesu Christi, der Dialogo per la Pascua ein Osterdialog, weitere mehrchörige Psalmen, eine Anzahl weltlicher Lieder und Gesänge, der Trauergesang zur Beisetzung der Kurfürstin-Mutter, der Herzogin Sophie, am 28. Januar 1623, mehrere politische Musiken u.v.m.

Die Auferstehungshistorie ist das erste oratorische Werk von Heinrich Schütz. Den Erstdruck dieses "genialsten" Stückes, wie es Walter Simon Huber in seinem Geleitwort zur 1956 herausgegebenen Ausgabe ausdrückte (S. 63), legte der 38jährige 1623 vor. Dieser Erstdruck umfaßt 7 Stimmhefte (für Evangelisten, Chor und Solisten, Generalbaß und 4 Violen). Der einzige vollständige Erstdruck ist in der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin erhalten; unvollständige Exemplare befinden sich in Grimma und Kamenz in den Archiven!

Die Textfassung für das Osteroratorium ist eine Kompilation (=durch zusammengetragenen Quellen entstandene[r] Schrift / Text) der vier Evangelien, die vielleicht auf Bugenhagen und Johann Walter zurückging, und löste mit der ersten Dresdner Aufführung von 1623 diejenige Fassung von Schütz' Vorgänger im Kapellamt, Antonio Scandello, ab. Das überraschende und gleichzeitig schöne ist die Schlichtheit, mit der zu Herzen geredet wird, der Vorrang von Wortverständnis und Gemeindefreundlichkeit, der die gelegentlich kühnen Modulationen fast vergessen läßt.

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Analyse Auferstehungshistorie SWV 50

Das oratorische Werk der Auferstehungshistorie umfaßt sieben Teile: Eingangs- und Abschlußchor, drei Szenen, die voneinander getrennt sind durch Zwischenspiele. Charakteristisch ist vor allem Heinrich Schütz' Kunst der Imitation, die sich am auffallendsten zeigt in den dramatischen Steigerungen der "Duos", im "Terzett" und in den Chören! Von besonderer Klangpracht und in innerer Größe ist der doppelchörige Beschluß, wo der eine Chor in geschlossener Vierstimmigkeit den ebenfalls geschlossenen vierstimmigen andern Chor beständig imitiert, während der Evangelist als 9. Stimme auf freien Rhythmen das Gewoge des 8stimmigen Doppelchores mit "Victoria"-Rufen durchdringt.
Auffallend in der Tonsprache von Schütz sind: die häufige Verwendung übermäßiger Dreiklänge, der zum Teil überraschend und öfter auftretende Wechsel in entferntere Tonarten, Überschneidungen der Singstimmen, wirkungsvolle Sekundreibungen, Tonwiederholungen bei großer dramatischer Steigerung und Punktierung bei majestätisch-feierlichen Begriffen. Die Tonsprache weist bei Schütz nicht nur tonsymbolische Einzelmotive, sondern engste Beziehungen zwischen solchen Motiven gleichen oder ähnlichen Gehalts auf. Beispielsweise wurden für die Tonsymbole im Werk von Johann Sebastian Bach ein Verzeichnis von 20 bis 25 Elementarthemen aufgestellt, in dem laut Albert Schweitzer "fast alle charakteristischen Ausdrücke wurzeln, die durch ihre regelmäßige Wiederkehr in den Kantaten und Passionen auffallen." (Geleitwort S. 69, NSA Bd. 3) Eine eben solche Beziehung zwischen wichtigen Themen und Motiven läßt sich auch bei Schütz nachweisen, so der Herausgeber Walter Simon Huber in seinem edierten Band der Auferstehungshistorie von 1956. Diese Themen und Motive sind aufgeteilt in folgende "Kategorien": 1. Orgelpunkt, 2. Wellen- und Schwebemotiv, 3. Aufsteigende Motive, 4. Absinkende Motive, 5. Umbiegende Motive A und 6. Umbiegende Motive B.

Aufgebaut ist das oratorienhafte Werk aus drei Großchören (zwei sechsstimmigen am Anfang und in der Mitte, sowie einem doppelchörigen mit seperater 9. Stimme des Evangelisten) und dazwischen beherrschen die rezitativischen Teile das Stück, begleitet von Orgel- oder Gambenklang. In den Rezitativen kommen der Evangelist, der das Geschehen berichtet, oder andere mitredende Personen (Colloquenten), oder aber auch die Stimme Jesu zu Wort. (vgl. Dellin 125/126).
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Originale Vorreden Auferstehungshistorie SWV 50

Die Historia von der Auferstehung Jesu Christi wurde niemanden dediziert, jedoch hielt es Schütz für notwendig, dem Druck eine Vorrede voranzustellen. Darin legt der Komponist des Werkes seine Vorstellungen dar und gibt aufführungspraktische Hinweise.

Dem Leser meinen Gruß vnd Dienst.
Wer gegenwertige meine Compostion, die Histori der frölichen vnd Siegreichen Aufferstehung vnsers HErrn Gottes, Erlösers vnd Seligmachers Jesu Christi repraesentiren will, hat auff zwey Chor achtung zugeben vnd dieselben zubestellen, als nemlichen:
1. Den Chor des Evangelisten.
2. Den Chor der Personen Colloquenten.
Stehet aber in eines jeden gefallen, das nach des Orts vnd der Musicorum gelegenheit, er beyde Chor an einen Ort beysammen verbleiben lasse, oder voneinander absondern thue.

Vom CHOR des Evanglisten.

1. Der Evangelist kan in ein Orgelwerck, Positiff, oder auch in ein Instrument, Lauten, Pandor, &c. nach gefallen gesungen werden, wie dann zu dem ende die Wort des Evangelisten vnter den Bassum continuum mitgesetzt worden. Es ist aber der Organist, welcher seine Person hier wol vertreten will, zuerjndern, daß so lange der falsobordon in einen thon weret, er auff der Orgel, oder Instrument, mit der Hand jmmer zierliche vnd appropiirte leuffe oder passaggi darunter mache, welche diesem Werck, wie auch allen andern falsobordonen die rechte art geben, sonsten erreichen sie jhren gebührlichen effect nicht.
2. Wann man es aber haben kan, ist besser daß die Orgel vnd anders hier ausbleibe, vnd an stadt derselben nur vier Violen di gamba (welche hierbey auch zufinden) die Person des Evangelisten zubegleiten gebraucht werden.
3. Es will aber von nöthen seyn, daß die vier Violen, mit der Person des Evangelisten, sehr fleissig practicirt werden, folgender massen: Der Evangelist nimpt seine partey für sich, vnd recitiret dieselbe ohne einigen tact, wie es jhm bequem deuchtet, hinweg, helt auch nicht lenger auff einer Sylben, als man sonsten in gemeinen langsamen vnd verstendlichen Reden zu thun pfleget.
So dürffen die Violen auch auff keinen tact, sondern nur auff die Wort, welche der Evangelist recitiret, vnd in jhren parteijen vnter den falsobordon geschrieben seynd, achtung geben, so kan man nicht irren, Es mag auch etwa eine Viola vnter den hauffen passegiren, wie im falsobordon gebreuchlichen ist, vnd einen guten effect gibt.
4. Auch ist zu mercken, daß in den vier parteijen der Violen, der Bassus Continuus der Personen colloquenten mit gesetzt worden, zu dem ende, daß sie nachrichtung haben können, wenn sie mit der Person des Evangelisten widerumb anfangen sollen, damit das Werck fein ordentlich ohne confusion auffeinander folge.
5. Zu Ende in denen Büchern der vier Violen di gamben, ist auch ein Chor aus dem Beschluß à 9. copiret, auff daß, si placet, derselbe mitgezeiget werden könne.
Vom CHOR der Personen Colloquenten.
1. Dieser Chor mus der Orgel nahe seyn, weil alle diese actiones in ein gar still getacktes, damit man der Sänger pronuntiationes deutlich vernehmen könne, musiciret werden müssen.
2. Diesem Chor kan auch der Capellmeister, oder wer sonst das Werck dirigiret, beywohnen, vnd einen rechtmessigen langsamen appropiirten tackt, (darinnen gleichsam die Seele vnd das Leben aller Music bestehet) darzu geben.
3. In den grössern Buch, darinnen dieser Chor geschrieben ist, befinden sich auch die Worte des Evangelisten, zu dem ende, daß die Personen sich daraus ersehen können, wenn sie anzufangen haben.
4. Wann in der Histori bißweilen nur eine Person redet, als nemlich, der HErr Christus, Maria Magdalena, etc. habe ich ein Duo gesetzet, vnd sonderlich des HErrn Christi Person, mit einem Alt und Tenor, können beyde Stimmen, oder nur eine gesungen, die andre Instrumentaliter gemacht, oder auch wol, si placet, gar ausgelassen werden.
5. Wo Chorus vor einem Vers stehet, bedeutet daß derselbe pleno choro kan musiciret werden.
Zur nachrichtigung wil ich die Parteyen, so zu dieser
Historien gehören, specificiren.
1. Ein grosses Buch, darinnen die Personen Colloquenten zu finden.
2. Ein Buch zu des Evangelisten Stim.
3. Vier Bücher zu vier Viol di gamba.
4. Der Bassus Continuus.
Es were zwar noch viel zuerjndern, auff was massen diese Histori mit besserer gratia oder anmuth musiciret werden köndte, wann nemlich der Evangelist allein gesehen würde, die andern Personen alle verborgen stünden, vnd was mehr dergleichen ist. Hab es aber mit fleiß vbergehen vnd verstendigen Musicis anheim stellen wollen, nicht zweiffelnde, wann sie das Werck für die Hand nehmen möchten, solches alles des Orts gelegenheit vnd andre Vmbstände jhnen selbsten an die hand geben werden. Vnterdessen aber wollen sie diese obgesetzte geringe Nachrichtung von mir in besten vermercken, vnd mich zu jhrer gönstigen affection befohlen seyn lassen.
Datum Dreßden am Tage Annunciationis Mariæ, Anno 1623.
Henrich Schütz,
Author.

[ in: Erich H. MÜLLER: Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J. (1930), S. 69 - 72]

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Quellen Auferstehungshistorie SWV 50

Klang:
Heinrich SCHÜTZ: Historia der Geburt und Auferstehung Jesu Chrsiti. Kammerchor Stuttgart, Musica Fiata Köln, Ltg.: Frieder Bernius. Sony Classical 1990

Noten:
Heinrich SCHÜTZ: Historia der Auferstehung Jesu Christi. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, hrsg.: Walter Simon Huber, Kassel 1956

Abbildungen:
Titelbild: Druckfaksimile, Archiv Heinrich-Schütz-Haus Bad Köstritz

Literatur:
Martin GREGOR-DELLIN: Heinrich Schütz. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. München 1984
Otto BRODDE: Heinrich Schütz. Weg und Werk. Kassel 1972
Michael HEINEMANN: Heinrich Schütz und seine Zeit. Laaber 1993
Heinz KRAUSE-GRAUMNITZ: Heinrich Schütz. Sein Leben im Werk und in den Dokumenten seiner Zeit. 2 Bde., Leipzig 1985
Erich H. MÜLLER: Heinrich Schütz. Gesammelte Briefe und Schriften, Regensburg o. J. (1930)
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